„Man kann Protest auch anders ausdrücken“

Eigentlich ist es im Lindenhof im Allgemeinen eher friedlich. Und so zählt der 15. Oktober wohl zu den aufregenderen Abenden des Jahres. Grund war nicht nur der Besuch des Bundesvorstandsmitglieds der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Alice Weidel, die in der Lanz-Kapelle zum Thema „Politik für unser Land“ vortrug. Gründe waren auch eine Gegenveranstaltung von Grünen, Jusos, Linker Jugend, Mitgliedern des Vereins „Mannheim sagt Ja!“ und weiteren Partnern, die es für „unverantwortlich halten, dass die Lanz-Kapelle für solche Veranstaltungen genutzt wird“, wie es ein Sprecher der Grünen ausdrückte, sowie jede Menge Polizei am Veranstaltungsort.

Den eigentlichen Schock gab es jedoch schon am Samstagmorgen, als die Helligkeit diverse Schmierereien an den Außenwänden der kleinen Kapelle enthüllte, die in der Nacht von Feitag auf Samstag dort aufgesprüht wurden. Die Polizei entdeckte die Schriftzüge gegen 2.30 Uhr auf einer Streifenfahrt.

„AfD raus“ oder „Mannheim bleibt rot“ war da unter anderem in schwarzer beziehungsweise roter Schrift zu lesen. In der Zwischenzeit sind die Schmierereien übermalt. Die Täter seien bislang unbekannt, sagte Polizeisprecher Dieter Klumpp an besagtem Samstagabend. „Es wird schwer sie zu finden“, fügte er hinzu. „Ich bin fassungslos“, sagte hingegen Helma Schäfer, Mitglied der Bürger-Interessengemeinschaft Lindenhof (BIG), in dessen Besitz sich die Lanz-Kapelle befindet und die für die Vermietung verantwortlich ist. Sie selbst könne zwar mit der AfD nichts anfangen, doch die Schmierereien seien unverschämt. „Man kann doch seinen Protest auch anders ausdrücken“, so Schäfer.

Auch in den Polizeieinsatz brachten die Schmierereien ein wenig zusätzliche Spannung rein. Immerhin ist es möglich, dass linksextreme Gruppierungen dafür verantwortlich sind, die auch an dem Samstagabend wieder hätten auftauchen können. Die eigentliche Gegenveranstaltung mit rund 70 Teilnehmern, die zum Protest Lieder sangen oder ein Friedenszeichen aus Kerzen formierten, verlief hingegen friedlich und löste sich noch vor Ende der Politikveranstaltung auf. Doch bis zum Schluss blieben die Einsatzkräfte wachsam und behielten hier und da kleinere Grüppchen im Auge, die sich etwas Abseits der Lanz-Kapelle aufhielten.

Bereits am Nachmittag dieses Tages bezogen die Grünen in einer Pressemitteilung Stellung zu den Schmierereien. Darin erklärte unter anderem Patric Liebscher, Bezirksbeirat der Grünen auf dem Lindenhof und Versammlungsleiter der Protestkundgebung: „Wir distanzieren uns nachdrücklich von solchen Straftaten. Das ist keine angemessene Form des Protests. Die von uns angemeldete Versammlung soll Ausdruck des friedlichen und demokratischen Widerspruchs gegen die von der AfD durchgeführte Veranstaltung sein. Wir tolerieren keine Gewalt oder Beleidigungen gegenüber jedweder Person oder Organisation.“ Auch am besagten Samstagabend bekräftigte er vor Ort noch einmal seine Aussage.

Die Masse der Einsatzkräfte sei normal, erklärte Polizeisprecher Klumpp – auch wenn sie letztendlich etwas überdimensioniert erschien in Anbetracht der kleinen Gegendemo. Genaue Angaben zum Aufgebot machte der Sprecher aus einsatztaktischen Gründen nicht. Allerdings: „Vorkommnisse wie einst bei Besuchen von Frauke Petry haben uns sensibel gemacht“, sagte er.  Er blickte dabei auf Ende Januar zurück, als die AfD-Bundesvorsitzende zu Gast in Feudenheim war und es zu Schubsereien und Rangeleien kam, die sich gegen Petry-Zuhörer richteten und von Antifa-Aktivisten ausgingen.

Auf dem Lindenhof blieb es an diesem Samstag jedoch ruhig, bestätigte im Nachhinein die Polizei. Rund 120 Besucher, so die die Angabe der Organisatoren der Veranstaltung, füllten die Lanz-Kapelle. Und so verging ein aufregender Abend trotz eines Aufeinandertreffens von Menschen mit stark unterschiedlichen politischen Einstellungen ohne Zwischenfälle. Doch die Empörung über die Farbschmierereien dürfte noch eine Weile nachwirken.

Auch das BIG-Mitglied und der aktuelle „Lindenhöfer des Jahres“ Wolf Engelen meldete sich zu Wort. „Es ist absolut inakzeptabel, dass politische Parteien das Eigentum von gemeinnützigen Vereinen, in diesem Falle die Lanz-Kapelle Lindenhof der BIG Lindenhof, verunstalten, um sich mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen“, schrieb Engelen an die „Lindenhof aktuell“-Redaktion. Er nannte es nicht nur einen schlechten politischen Stil, sondern erkennt in der Tat erhebliche kriminelle Energie und demokratisches Unvermögen. Sein Schreiben richtete sich jedoch auch an diejenigen, die für die Vermietung der Lanz-Kapelle verantwortlich sind. Diese „müssen sich allerdings auch fragen lassen, ob sie mit der Vergabe dieses Termins nicht etwas blauäugig waren“, so Engelen. Denn seiner Meinung nach wäre die akute Gefahr für Randale und Schaden an der Lanz-Kapelle vorhersehbar gewesen. In diesem Falle wäre laut Engelen sogar die Stornierung des Vertrags mit den Veranstaltern möglich gewesen. „Wir können nur hoffen, dass man aus Schaden klug wird“, schrieb Wolf Engelen, der die Kapelle einst vor dem endgültigen Abriss gerettet hatte.

In einer offiziellen Stellungnahme der BIG zu den Vorkommnissen hieß es unter anderem: „Die BIG Lindenhof ist ein vor 25 Jahren gegründeter, als gemeinnützig anerkannter Stadtteilverein. Bei der BIG ziehen Bürger aus allen sozialen Schichten und ungeachtet ihrer politischen Ausrichtung an einem Strang und agieren für die gemeinsame Sache.“ Der für die Lanz-Kapelle zuständige Vorstand habe das Thema der politischen Veranstaltung als auch die Referentin hinterfragt. „Inhaltliche Ausrichtung als auch handelnde Personen gaben keinen Anlass, das Prinzip der Gleichbehandlung zu durchbrechen“, so die BIG. Sie gibt an, die Kapelle auch an Externe zu vermieten, wobei der Vorstand nicht alle Meinungen der Mieter vertritt, die diese in öffentlichen Veranstaltungen verlautbaren würden.  Der Vorstand der BIG Lindenhof verurteile jede Art von Diskriminierung auf das Schärfste. „Wir distanzieren uns von jeglicher Art von Fremdenfeindlichkeit jedweder Gruppierung, politischen Partei oder sonstigen Institution“, heißt es.             jm